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Raus mit der Sprache – Sagen Sie den Bewerbern die Wahrheit

Das Bewerbungsgespräch ist oft ein heikler Prozess, denn jetzt wird entschieden, ob es sinnvoll ist, den Kandidaten anzustellen. Dabei kommt es oft zu Missverständnissen, seltener zu Lügen. Manche HR-Manager trauen den Kandidaten nicht und meinen, dass die Kandidaten alles behaupten würden, um die Stelle zu kriegen. Andersherum meinen manche HR-Manager, den Kandidaten nur die halbe Wahrheit über die Stelle vermitteln zu können. Und zwar sind sie der Meinung, der Kandidat würde die Stelle nicht annehmen, wenn er wüsste, wie anstrengend oder langweilig die Arbeit ist. Dabei dient das Bewerbungsgespräch dazu, um herauszufinden, ob der Kandidat und die Stelle zueinander passen und nicht nur, ob der Kandidat für die Stelle tüchtig ist. Wenn der Bewerber Ihnen sagt, dass die Stelle ihm oder ihr nicht passt, dann ist es höchstwahrscheinlich auch für Sie am besten, die Absage zu akzeptieren. So sparen Sie sich die Kosten, die Zeit und den Aufwand, einen unpassenden Kandidaten anzustellen, der sowieso schon bald kündigen wird.

Um solche Situationen vorzubeugen, gibt es eine geschickte Lösung: Geben Sie den Bewerbern die Möglichkeit, Fragen zur Stelle und zum Unternehmen zu stellen. Als Arbeitgeber ist es auch für Sie von Vorteil, wenn der Kandidat eine wahrheitsgetreue Vorstellung von der Stelle hat.

Die Wahrheit kommt immer ans Licht

Eigentlich haben Sie heute gar keine andere Wahl, als ehrlich zu den Kandidaten zu sein. Früher war der Recruiting-Prozess viel simpler. In den USA zum Beispiel, haben grosse Firmen und Banken in den Colleges Veranstaltungen organisiert und sich den Studierenden im besten Licht präsentiert. Dabei wurden Fragen der Studenten mit vorbereiteten Antworten geklärt und der Event war vorbei, bevor die Studierenden Genaueres wussten. Mit der Firma im Nachhinein Kontakt aufnehmen, um sich präzisere Antworten zu holen, setzte mehrstündige Versuche zur Kontaktaufnahme mit den Alumni und den Mitarbeitern voraus, weshalb sich die meisten Studierenden mit den einstudierten Antworten zufriedengaben.

Heute ist das nicht mehr denkbar. Im Handumdrehen kann man mit ein wenig Recherche die negative Seite des Unternehmens ans Licht bringen, denn jeder ist dazu bereit, eine Rückmeldung zur Firma zu geben. Wenn das Unternehmen die unangenehmen Tatsachen zu leugnen versucht, wird es dafür verpönt.

Sie geben den Ton an

Raffinierte Unternehmen nutzen Interviews und Bewerbungsgespräche, um ihre Transparenz zu demonstrieren und zu zeigen, dass sie im Gegenzug dieselbe Ehrlichkeit auch von ihren Angestellten erwarten dürfen. Während des Gesprächs haben Sie die Chance, den gewünschten Ton für die professionelle Beziehung anzugeben und ein positives Beispiel zu setzen. Seien Sie dabei positiv und erklären Sie, weshalb Ihre glücklichsten Angestellten ihren Job lieben. Erklären Sie, welche Schwierigkeiten für den Mitarbeiten aufkommen könnten, was andere Mitarbeiter dazu bewegt, diese Hürden zu bewältigen und welche Schlüsselelemente Ihrer Unternehmenspolitik oft positiv bewertet werden, doch für manche unpassend sein könnten.

Während des Bewerbungsgesprächs können Sie mit gekonnt formulierten Fragen den Bewerbenden dazu bewegen, sich aufzulockern. Wenn der Kandidat fühlt, dass Sie Ihm auch ein Stück weit zuvorkommen möchten, kommt ihm das Gespräch weniger stressig vor und es fällt ihm leichter, die Situation einzuschätzen. Wenn Sie als HR-Manager mit dem Kandidaten zufrieden sind, können Sie sich wie folgt ausdrücken:

Unterstützende Fragen

  • «Ich bin mir sicher, es ist Ihnen wichtig, bei Ihrem neuen Job glücklich zu sein. Wir, als Unternehmen, möchten sichergehen, dass Sie mit der Stelle zufrieden sind.»
  • «Meinen Sie, Sie sind in zwei Monaten zufrieden mit [der herausfordernden Aufgabe]?»
  • «Einem anderen Interviewer haben Sie gesagt, es wäre in Ordnung für Sie, 80% der Zeit auf Geschäftsreise zu sein. Sind Sie sich sicher, dass das Ihnen nicht zu viel wird?»

Während des Bewerbungsgesprächs wollen oft beide Gesprächspartner zwischen den Zeilen lesen. Dies führt zu Missverständnissen und versäumten Gelegenheiten. Als HR-Manager haben Sie während des Gesprächs die Oberhand und können mit unverblümt und knapp formulierten Fragen den Kandidaten zu ehrlichen Antworten ermutigen.

Zuvorkommende Fragen

  • «Möchten Sie feste Arbeitszeiten haben?»
  • «Können Sie von zu Hause aus arbeiten?»
  • «Stört es Sie, wenn Schwierigkeiten wie [Problem] aufkommen?»

Manche Arbeitgeber belächeln diese Art von Fragen, denn „natürlich sagen die Kandidaten das, was der HR-Manager hören will, sie wollen ja den Job!“ Aber eigentlich ist es unwahrscheinlich, dass Fachkräfte, vor allem mit höheren Qualifikationen, sich um der Stelle Willen fälschlich präsentieren. HR-Manager überschätzen das Risiko, von den Kandidaten angelogen zu werden und übersehen die Tatsache, dass die Kandidaten ohne ausreichenden Einblick ihre Tauglichkeit für die Stelle nicht einschätzen können. Vielleicht hilft Ihnen der folgende Vergleich: Glauben Sie, dass 40% der Ehen in den USA in der Scheidung enden, weil die Ehegatten einander vorsätzlich anlügen, oder weil sie einander unzureichend schwierige Fragen zu ihrer Eignung als Ehegatten stellen?

Wie ich dir, so du mir

Vincent Szwajkowski, ehemaliger Angehöriger der Boston Consulting Group und aktueller chief marketing officer der Arc Light Cinemas geht sogar so weit, dass er die Bewerbenden fragt, ob sie auch seine Referenzen sehen möchten. Er bietet ihnen zwei Rückmeldungen von ehemaligen Angestellten an – jeweils einer der beiden hat aus eigenen Beweggründen das Unternehmen verlassen. Dabei ermutigt Szwajkowski die Kandidaten, all ihre Fragen hemmungslos zu stellen. „Es ist nicht so, dass ich einen guten Kandidaten verlieren will“, sagt Szwajkowski, “aber ich vermeide es lieber, seine Stelle nach einem halben Jahr wieder besetzen zu müssen, weil er nicht gerne für mich gearbeitet hat.“

Wenn Sie sichergehen wollen, dass Sie nicht angelogen werden, können Sie dem folgenden Rat nachgehen. Als erstes müssen Sie sich gestehen, dass Menschen generell sehr schlecht Lügen erkennen und dass auch Sie keine Gedanken lesen können. Wenn Sie die ganze Wahrheit herausfinden wollen, dann müssen Sie um sie kämpfen. Zweitens; lassen Sie die Bewerber wissen, dass Sie ihre Referenzen kontaktieren werden. So schrecken Sie auch die unverschämtesten Lügner ab. (Dies könnte als aufdringlich aufgefasst werden und Ihnen eine negative Bewertung auf kununu.com einbrocken. Ihr Tonfall und Ihr Umgang mit dem Kandidaten entscheiden, wie diese Aussage von Ihrem Gesprächspartner aufgenommen wird.) Stellen Sie schliesslich dem Kandidaten zuvorkommende Fragen, die ihn oder sie zur Ehrlichkeit aufmuntern.

Nachfragen

  • «Ich möchte mich vergewissern, dass ich Sie richtig verstanden habe. Sie meinen, dass…?»
  • «Ich möchte mögliche Missverständnisse vermeiden – Sind Sie sicher, dass dieser Aspekt für Sie in Ordnung ist?»

Weder das Unternehmen noch die Angestellten profitieren, wenn eine Stelle von der falschen Person besetzt wird. Aus diesen Gründen sollten Sie als HR-Manager oder als Geschäftsführer Ehrlichkeit beim Anstellungsprozess anstreben – sowohl Ihrerseits als auch Seitens der Kandidaten.

Quelle: Harvard Business Review (Stand: 24.06.2019)

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